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Ein christlich-arabischer Diplomat und Anwalt spricht über Araber, Juden und den Frieden


George Deek


Anlässlich einer Veranstaltung am 27.09.2014 von Med Israel for Fred (Mit Israel für Frieden) im Haus der Literatur in Oslo hat George Deek, ein arabischer Christ, als Geschäftsträger der Botschaft Israels in Norwegen eine fesselnde Rede gehalten. Aus Platzgründen ist der Text hier nur auszugsweise zu lesen. 

– Red. 

Wenn ich durch die Straßen meines Heimatortes Jaffa wandere, durch die Gassen der Altstadt, entlang der Häuser im Stadtteil Ajami, wenn ich die Fischernetze am Hafen sehe, werden in mir die Geschichten von 1948 lebendig, dem Jahr, das meine Stadt für immer veränderte.

Eine dieser Geschichten handelt von einer der ältesten Familien in dieser uralten Stadt, der Familie Deek, zu der ich gehöre. Vor 1948 hat mein Großvater Georg, nach dem ich benannt wurde, als Elektriker beim Elektrizitätswerk Rotenberg gearbeitet. Und da Jaffa ethnisch gesehen eine gemischte Stadt war, hatte er natürlich auch einige jüdische Freunde. De facto haben ihm seine Freunde im Elektrizitätswerk sogar Jiddisch beigebracht. Er war einer der ersten Araber, die diese Sprache beherrschten.

1947 verlobte er sich mit Vera, meiner Großmutter, und sie planten eine eigene Familie in dieser Stadt zu gründen, in der unsere Familie bereits seit rund 400 Jahren lebte.

Doch einige Monate später änderten sich diese Pläne buchstäblich über Nacht.

Als die Vereinten Nationen der Gründung Israels zustimmten und als dann der Staat Israel gegründet wurde, warnten die arabischen Führer die Araber, die Juden würden planen, sie umzubringen, wenn sie blieben. Sie sagten allen: „Verlasst eure Häuser und flieht.“ Sie behaupteten nur ein paar Tage zu brauchen, um mit 5 Armeen das neu entstandene Israel zu vernichten. Meine Familie, entsetzt von dem, was geschehen könnte, beschloss zu fliehen, zusammen mit den meisten andern.

Ein Priester wurde eilends in das Haus der Familie Deek gebracht, der Georg und Vera traute. Meine Großmutter konnte sich nicht einmal ein passendes Kleid besorgen. Nach der hastigen Hochzeit floh die ganze Familie gen Norden, Richtung Libanon.

Doch als der Krieg vorüber war, war es den Arabern nicht gelungen, Israel zu vernichten. Meine Familie war auf der anderen Seite der Grenze und es schien, als sei es das Schicksal der Brüder und Schwestern der Familie Deek über den ganzen Erdball verstreut zu werden. Heute habe ich Verwandte in Jordanien, Syrien, im Libanon, in Dubai, in Großbritannien, Kanada, den USA, Australien und sonstwo. Die Geschichte meiner Familie ist nur eine von vielen, vermutlich nicht die schlimmste vieler tragischer Geschichten aus dem Jahr 1948.

Laut der UNO wurden 711.000 Palästinenser vertrieben. Gleichzeitig wurden durch die Gründung Israels 800.000 Juden drangsaliert und gezwungen, die arabische Welt zu verlassen. Danach gab es in den meisten [dieser Nationen] keine Juden mehr.

Doch dieser Konflikt war nicht der einzige im 19. und 20. Jahrhundert, der zu Vertreibung und Umsiedelung führte.

  • Zwischen 1821 und 1922 wurden 5 Millionen Muslime aus Europa vertrieben, zumeist in die Türkei.
  • In den 1990er Jahren brach Jugoslawien auseinander, was 100.000 Tote und 3 Millionen Vertriebene zur Folge hatte.
  • Zwischen 1919 und 1949, und während der Aktion Weichsel [Wisła] zwischen Polen und der Ukraine starben 150.000 Menschen und 1,5 Millionen wurden vertrieben.
  • Nach dem 2. Weltkrieg und dem Abkommen von Potsdam wurden zwischen 12 und 17 Millionen Deutsche vertrieben.
  • Durch die Gründung von Indien und Pakistan wurden rund 15 Millionen Menschen umgesiedelt.

Dies geschah auch im Nahen Osten. Zum Beispiel:

  • Die Vertreibung von 1,1 Millionen Kurden durch die Ottomanen.
  • Die Verstoßung von 2,2 Millionen Christen aus dem Irak.
  • Und während wir hier sprechen, werden durch den Aufstieg des radikalen Islam die Jesiden, die Bahai, Kurden, Christen, und sogar Muslime selbst, getötet und vertrieben, ungefähr 1000 pro Monat.

Die Chance, dass eine dieser Gruppen in ihre Heimat zurückkehrt, existiert fast nicht.

Warum also wird der Tragödien der Serben, der europäischen Muslime, der polnischen Flüchtlinge oder der irakischen Christen nicht gedacht? Warum wurde die Vertreibung der Juden aus der arabischen Welt vollkommen vergessen, während die Tragödie der Palästinenser (die Nakba) noch immer eine Rolle in der heutigen Politik spielt?

Mir erscheint [dies so], weil die Nakba von einer humanitären Katastrophe in eine politische Offensive verwandelt wurde. Man gedenkt der Nakba nicht mehr, um an das Geschehene zu erinnern, sondern um der bloßen Existenz des Staates Israel zu widersprechen.

Dies wird überaus deutlich an der Datumswahl des Gedenktages. Der Nakba-Tag wurde auf den 15. Mai festgesetzt, das ist ein Tag, nachdem Israel seine Unabhängigkeit erklärte. Dadurch machte die palästinensische Führung deutlich, dass die Katastrophe an der Nakba nicht die Vertreibung, die verlassenen Dörfer oder das Exil war. Die eigentliche Nakba ist in ihren Augen die Entstehung Israels. Sie sind weniger betrübt über die humanitäre Katastrophe, die die Palästinenser befiel, als über die Wiederbelebung des jüdischen Staates. Mit anderen Worten: Sie betrauern nicht den Fakt, dass meine Cousins Jordanier sind, sie betrauern den Fakt, dass ich Israeli bin.

Dadurch sind die Palästinenser Sklaven der Vergangenheit geworden, geknebelt durch Ketten der Verbitterung, gefangen in einer Welt der Frustration und des Hasses.

Doch liebe Freunde,

Um die Vergangenheit zu bewältigen, muss man zunächst die Zukunft absichern. 

Dies habe ich von meinem Musiklehrer Avraham Nov gelernt. Als ich 7 Jahre alt war, trat ich der Blaskapelle der christlich-arabischen Gemeinschaft in Jaffa bei. Dort traf ich Avraham, der mir das Flöte- und Klarinettespielen beibrachte.

Avraham ist ein Holocaust-Überlebender, dessen ganze Familie von den Nazis umgebracht wurde. Er überlebte nur, weil ein Nazi-Offizier seine Begabung für das Harmonikaspielen entdeckte und ihn während des Krieges mit nach Hause nahm, um seine Gäste zu unterhalten.

Als der Krieg vorüber war, hätte er einfach dasitzen und über das größte Verbrechen der Menschheit in der Menschheitsgeschichte weinen können, und über die Tatsache, dass er alleine war. Aber er wählte das Leben, nicht den Tod, die Hoffnung statt der Verzweiflung.

Avraham kam nach Israel, heiratete, gründete eine Familie und begann, das zu lehren, was sein Leben gerettet hatte – Musik. Er wurde zum Lehrer für tausende Kinder im ganzen Lande. Und als er die Spannungen zwischen den Arabern und den Juden sah, beschloss dieser Holocaust-Überlebende hunderten von arabischen Kindern, wie mir, Hoffnung durch die Musik zu vermitteln.

Holocaustüberlebende wie Avraham sind die erstaunlichsten Menschen, die es gibt. Während der 15 Jahre, die ich Avraham kannte, war ich sein Schüler. Er sprach nie über seine Vergangenheit, außer einmal, als ich es wissen wollte. Viele Holocaustüberlebende sprachen nicht über diese Jahre, über den Holocaust, manchmal jahrzehntelang nicht, auch nicht mit ihren Familien.

Erst als sie ihre Zukunft abgesichert hatten, erlaubten sie sich auf ihre Vergangenheit zu schauen. Sie bauten ihre Zukunft in ihrer alt-neuen Heimat, dem Staat Israel. Und unter dem Schatten ihrer größten Tragödie bauten die Juden ein Land auf, das weltweit führend in der Medizin, der Landwirtschaft und der Technologie ist.

Warum? Weil sie nach vorne schauten. Freunde, dies ist eine Lektion für jede Nation, die eine Tragödie überwinden will, auch für die Palästinenser.

Und der erste Schritt in diese Richtung ist zweifelsohne ein Ende der beschämenden Behandlung palästinensischer Flüchtlinge.

In der arabischen Welt gelten palästinensische Flüchtlinge – inklusive ihre Kinder, Enkel und sogar Urenkel – noch immer nicht als eingelebt, werden sie öffentlich diskriminiert und haben in den meisten Fällen weder Bürgerrecht, noch grundlegende Menschenrechte.

Warum sind meine Verwandten in Kanada kanadische Bürger, während meine Verwandten in Syrien, dem Libanon oder den Golfstaaten – die dort geboren wurden, und keine andere Heimat kennen – noch immer Flüchtlinge [ohne Bürgerrecht]? In arabischen Ländern erfahren die Palästinenser eindeutig die schlimmste Unterdrückung im Vergleich zu anderen Ländern.

Und die Beteiligten dieses Verbrechens sind keine geringeren als die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen. Statt ihre Arbeit zu tun und den Flüchtlingen beim Aufbau eines eigenen Lebens zu helfen, fördert die internationale Gemeinschaft ihre Darstellung als Opfer.

Während es nur eine UN-Institution für alle Flüchtlinge der Welt gibt – die UNHCR – gründete man eine weitere Institution, die sich nur mit den palästinensischen Flüchtlingen befasst – die UNRWA. Das ist kein Zufall. Während die UNHCR Flüchtlingen bei der Gründung eines neuen Heims, der Gestaltung ihrer Zukunft und der Beendigung ihres Flüchtlingsstatus helfen will, hat die UNRWA das umgekehrte Ziel: Deren Status als Flüchtlinge beizubehalten und sie daran zu hindern, ein neues Leben beginnen zu können.

Die internationale Gemeinschaft kann nicht ernsthaft erwarten, das Flüchtlingsproblem zu lösen, wenn sie mit der arabischen Welt dahingehend zusammenarbeitet, dass man die Flüchtlinge wie ein politisches Faustpfand behandelt und ihnen die grundlegenden Rechte verwehrt, die sie verdienen.

Wo immer man den palästinensischen Flüchtlingen gleiche Rechte garantierte, blühten sie auf und trugen zur jeweiligen Gesellschaft bei – in Südamerika, in den USA und sogar in Israel. In der Tat war Israel eines der wenigen Länder, das allen Palästinensern [innerhalb ihrer Landesgrenzen] nach 1948 automatisch das volle Bürgerrecht verlieh und sie gleichstellte.

Und wir sehen die Resultate:

  • Israelische Araber sind die am besten ausgebildeten Araber weltweit mit dem höchsten Lebensstandard und den größten Entwicklungsmöglichkeiten in der Region.
  • Araber dienen als Richter am [israelischen] Obersten Gerichtshof.
  • Einige der besten Ärzte in Israel sind Araber und arbeiten nahezu in jedem Krankenhaus des Landes.
  • Es gibt 13 arabische Mitglieder des [israelischen] Parlamentes, die das Recht genießen, die Regierung zu kritisieren – ein Recht, das sie vollumfänglich ausnutzen – geschützt von der Redefreiheit.
  • Araber gewinnen populäre Reality-TV Shows [in Israel].
  • Man findet sogar arabisch [-israelische] Diplomaten – und einer von denen steht vor Ihnen.

Wenn ich heute die Straßen von Jaffa entlang gehe, sehe ich die alten Häuser und den alten Hafen, aber ich sehe auch Kinder, die zur Schule und zur Universität gehen; ich sehe florierende Geschäfte und ein pulsierendes Kulturleben. Kurz gesagt, wir haben eine Zukunft in Israel.

Das bringt mich zu meinem nächsten Punkt:

Die Zeit ist gekommen, der Kultur des Hasses und der Anstiftung ein Ende zu setzen, denn der Antisemitismus ist meines Erachtens genauso eine Bedrohung für Muslime und Christen wie für Juden.

Ich bin vor knapp über 2 Jahren in Norwegen angekommen und habe hier erstmals mit Juden als einer Minderheit zu tun gehabt. Ich bin daran gewöhnt, sie als Mehrheit zu sehen. Ich bin in einer ähnlichen Umgebung aufgewachsen, in der christlich-arabischen Gemeinschaft in Jaffa. Ich war Teil des orthodoxen Christentums, das Teil der christlichen Gemeinschaft ist, die wiederum Teil der arabischen Minderheit ist, im jüdischen Staat Israel in einem muslimischen Nahen Osten. Es ist wie diese russischen Puppen, die Matrjoschkas. Man öffnet eine größere und darin befindet sich eine kleinere. Ich bin das kleinste Teil.

Wenn man eine Minderheit ist, liebe Freunde, heißt das, man ist anders. Und keine Nation hat je einen höheren Preis bezahlt dafür, eine Minderheit zu sein, als das jüdische Volk. Die Geschichte des jüdischen Volkes hat dem Wortschatz der Menschheit viele Worte eingebracht, wie Vertreibung, Zwangskonvertierung, Inquisition, Ghetto, Pogrom, ganz zu schweigen vom Wort Holocaust. Der [frühere Ober-] Rabbiner Großbritanniens, Lord Jonathan Sacks, erklärt genau, wie die Juden über die Jahrtausende hinweg leiden mussten, weil sie anders waren. Denn sie waren die bedeutendste nichtchristliche Minderheit in Europa (und sind heute die bedeutendste nichtmuslimische Minderheit im Nahen Osten.)

Und ein Europa (oder ein Naher Osten), in dem kein Platz für Juden ist, in dem ist auch kein Platz für Menschlichkeit.

Lasst uns nicht vergessen, dass der Antisemitismus zwar mit den Juden anfangen mag, aber nie bei den Juden aufhört. Sie sind nicht die Einzigen, die während der Inquisition zwangsbekehrt wurden. Und Hitler stellte sicher, dass Zigeuner und Homosexuelle, und Andere, gemeinsam mit den Juden litten.

Und jetzt passiert es wieder, dieses Mal im Nahen Osten. Die arabische Welt scheint vergessen zu haben, dass sie ihre besten Tage in den letzten 1400 Jahren hatte, als sie denjenigen, die anders waren, Offenheit und Toleranz erzeigte.

  • Der geniale Mathematiker Ibn Musa al-Khwarizmi war Usbeke.
  • Der große Philosoph Rumi war Perser.
  • Der glorreiche Führer Salah ad-Din [Saladin] war Kurde.
  • Der Gründer des arabischen Nationalismus war Michel Aflaq – ein Christ.
  • Und derjenige, der dem Rest der Welt die islamische Wiederentdeckung von Platon und Aristoteles brachte, war Maimonides – ein Jude.

Doch statt den erfolgreichen Ansatz der Toleranz wieder zu beleben, lehrt man die arabische Jugend, Juden zu hassen und nutzt antisemitische Rhetorik aus dem Europa des Mittelalters, vermischt mit islamischem Radikalismus. Und wieder einmal gilt: Was als Feindseligkeit gegenüber Juden begann, wird zur Feindseligkeit gegenüber allen, die anders sind.

Vor einer Woche sind mehr als 60.000 Kurden von Syrien Richtung Türkei geflohen, aus Angst vor Abschlachtung. Am selben Tag sind 15 Palästinenser aus Gaza im Meer ertrunken bei dem Versuch, den Fängen der Hamas zu entkommen. Die Bahais und Jesiden sind in Gefahr.

Und damit nicht genug, ist die ethnische Säuberung von Christen im Nahen Osten das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit im 21. Jahrhundert. In nur zwei Jahrzehnten wurde die Zahl der Christen, wie ich einer bin, von 20 % auf heute nur noch 4 % der Bevölkerung im Nahen Osten reduziert.

Wenn wir weiterhin unser Recht auf Andersartigkeit schützen wollen, wenn wir eine Zukunft in dieser Region haben wollen, denke ich, wir sollten zusammen stehen – Juden, Muslime und Christen gemeinsam. Wir werden für das Recht der Christen kämpfen, überall ihren Glauben ohne Furcht ausleben zu können, mit derselben Leidenschaft, mit der wir für das Recht der Juden kämpfen, ohne Furcht leben zu können.

Wir werden gegen Islamophobie [Vorurteile gegenüber Muslimen] kämpfen, aber unsere muslimischen Partner müssen sich anschließen im Kampf gegen die Christenphobie und die Judenphobie. Denn die uns allen gemeine Menschlichkeit steht auf dem Spiel.

Die arabische Welt kann die Einstellung überwinden, die [Palästinenser] seien hilflose Opfer, doch dazu müssen sie sich für Selbstkritik öffnen und sich selbst zur Rechenschaft ziehen lassen:

  • Bis heute stellt kein einziges Geschichtsbuch in der arabischen Welt den historischen Fehler in Frage, dass man die Gründung des jüdischen Staates ablehnt.
  • Kein prominenter arabischer Akademiker hat je eingestanden, dass, wenn die Araber die Idee eines jüdischen Staates akzeptiert hätten, es 2 Staaten gegeben hätte und keine Kriege, und damit gäbe es kein Flüchtlingsproblem.
  • Ich vermisse eine Debatte darüber, ob der destruktive Führungsstil des Muftis von Jerusalem, Haj Amin al-Husseini, gut war oder nicht, ob der damals unnötige, 1948 von der Arabischen Liga begonnene, Krieg sinnvoll war, oder jeder weitere gegen Israel in den Folgejahren bis heute geführte Krieg.
  • Und ich vermisse heute auch die Selbstkritik beim palästinensischen Mainstream über den Einsatz von Terrorismus, den Beginn der zweiten Intifada oder die Ablehnung [mehrerer] israelischer Angebote seit 1999 zur Beendigung des Konfliktes.

Nur die Araber selbst können ihre Wirklichkeit verändern, indem sie sich nicht auf Verschwörungstheorien verlassen und die außen stehenden Parteien – Amerika, die Juden, den Westen oder wen auch immer – für all ihre Probleme verantwortlich machen.

Ich las einen sehr interessanten Artikel von Lord Sacks über die Rivalität unter Brüdern in der Bibel. 

Es gibt 4 Geschichten davon im ersten Buch Mose: Kain und Abel, Isaak und Ismael, Jakob und Esau sowie Josef und seine Brüder. Jede Geschichte endet anders:

  • Im Fall von Kain und Abel liegt Abel am Ende tot da.
  • Im Fall von Isaak and Ismael stehen sie gemeinsam am Grab ihres Vaters.
  • Im Fall von Jakob und Esau treffen sie sich, umarmen sich und gehen danach getrennte Wege.

Doch im Falle Josefs endet alles anders. Josef war der 11..von Jakobs 12 Söhnen und Rahels Erstgeborener. An einem Punkt der Geschichte verkaufen die Brüder Josef aus Eifersucht in die Sklaverei. Er wird jedoch der zweitmächtigste Mann in Ägypten nach dem Pharao. Als es eine Hungersnot in Kanaan gab, kamen Josefs Brüder und ihr Vater nach Ägypten. Dort allerdings vergibt Josef seinen Brüdern, statt sie zu bestrafen für das, was sie ihm angetan haben. Das war der erste dokumentierte Fall von Vergebung und Versöhnung in der Literatur.

Josef versorgt seine Brüder mit allem, was sie brauchen. Sie gedeihen, wachsen zahlenmäßig und werden zu einer großen Nation. Am Ende der Geschichte sagt Josef zu seinen Brüdern: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott wollte es gut machen, um zu erreichen, was jetzt geschieht, die Rettung vieler Leben.“ Damit meinte er, dass wir mit unserem Handeln in der Gegenwart die Zukunft gestalten können.

Als Juden und Palästinenser mögen wir zwar keine Brüder des Glaubens sein, ganz sicher aber Brüder des Schicksals. Ich glaube, dass wir, wie in der Geschichte von Josef, durch richtige Entscheidungen, und indem wir auf die Zukunft fokussieren, unsere Vergangenheit hinter uns lassen können. Die Feinde von Gestern können die Freunde von Morgen sein. Dies geschah zwischen Deutschland und Israel, Ägypten und Israel und Jordanien und Israel.

Ich habe Ihnen noch nicht den Rest meiner Familiengeschichte von 1948 erzählt. Nach einer langen Reise, das meiste zu Fuß, erreichten meine Großeltern Georg und Vera Libanon. Sie blieben viele Monate dort. Während sie dort waren, gebar meine Großmutter ihren ersten Sohn, meinen Onkel Sami. Als der Krieg vorüber war, stellten sie fest, dass man sie belogen hatte. Die Araber hatten den Krieg nicht, wie versprochen, gewonnen. Und die Juden hatten nicht alle Araber umgebracht, wie man ihnen prophezeit hatte.

Mein Großvater sah sich um und sah nichts als ein Leben in der Sackgasse, als Flüchtlinge. Er sah sich seine junge, noch nicht einmal 18-jährige Frau und seinen neu geborenen Sohn an und wusste, dass es an einem Ort, der in der Vergangenheit stecken geblieben war und nicht nach vorne schauen konnte, keine Zukunft für seine Familie gab. Während seine Brüder und Schwestern ihre Zukunft im Libanon und anderen arabischen und westlichen Staaten sahen, hatte er andere Pläne.

Er wollte zurück nach Jaffa, in seinen Heimatort. Da er in der Vergangenheit mit Juden zusammen gearbeitet hatte und Freunde unter ihnen hatte, war er keiner Gehirnwäsche des Hasses unterlegen.

Mein Großvater tat, was wenige andere gewagt hätten: Er ging auf die zu, welche seine Gemeinschaft als Feinde ansah. Er kontaktierte einen seiner alten Freunde bei den Elektrizitätswerken und bat ihn um Hilfe.

Und dieser Freund, den ich aus den Geschichten meines Vaters kenne, konnte meinem Großvater helfen zurückzukehren. Und in einem außerordentlichen Akt der Gnade half er ihm sogar, seinen alten Job wieder zu bekommen, in der Firma, die jetzt die israelischen Elektrizitätswerke waren. So war er einer der wenigen Araber, die dort arbeiteten.

Heute gibt es unter meinen Geschwistern und Cousins Buchhalter, Lehrer, Versicherungsvertreter, Hightech-Ingenieure, Diplomaten, Geschäftsführer von Fabriken, Universitätsprofessoren, Ärzte, Anwälte, Investmentbroker, Leiter von Israels Großunternehmen, Architekten – und sogar Elektriker.

Der Grund, warum es meine Familie im Leben geschafft hat, der Grund, warum ich hier als israelischer Diplomat stehe, und nicht als palästinensischer Flüchtling aus dem Libanon, ist der, dass mein Großvater den Mut hatte, eine Entscheidung zu treffen, die für andere undenkbar war. Statt in Verzweiflung zu verfallen, fand er dort Hoffnung, wo keiner es wagte, sie zu suchen. Er beschloss, unter denen zu leben, die als seine Feinde betrachtet wurden, und sie zu seinen Freunden zu machen. Dafür sind meine Familie und ich ihm und meiner Großmutter auf ewig zu Dank verpflichtet.

Die Geschichte der Familie Deek sollte als eine Quelle der Inspiration dienen. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können eine Zukunft sichern für unsere kommenden Generationen.

Vielen Dank.

Transkript: Conrad Myrland